«Türgriffe desinfizieren bringt nichts!»

20.06.2019 -

Artikel von Albert Keel

Tuergriffe Desinfiszieren Bringt Nichts 1

Ursina Schürmann ist Leiterin Hauswirtschaft/Fachstelle Hauswirtschaft der SSBL in Rathausen, Emmen. Bei Ihr sammelt sich die Wäsche von 24 Wohngruppen sowie jegliche Fragen zum Thema Reinigung und Hygiene der ganzen Stiftung mit den total 42 Wohngruppen. Im Gespräch verrät Sie, was beim Thema Hygiene wirklich wichtig ist.

MAKK: Frau Schürmann, Sie sind Leiterin Hauswirtschaft der SSBL in Emmen. Was bedeutet das?

Ursina Schürmann: Wir sind für die Wäsche und für die Reinigung zuständig und in den Aussengruppen kochen wir teilweise auch noch. Hier in Rathausen haben wir einen Gastronomieleiter, der das Restaurant und das Kaffee führt.
In der Wäscherei arbeiten vier bis fünf «normale» Mitarbeitende und drei mit einer IV-Rente. Die Mitarbeiterinnen mit Rente sind die einzigen die wissen, welches Kistchen mit sauberer Wäsche für welchen Bewohner ist. Und das ist fantastisch. Auch in der Reinigung beschäftigen wir Mitarbeitende mit Rente.
In der Hauswirtschaft der gesamten SSBL, also auch mit den Aussengruppen, arbeiten zurzeit ca. 60 Personen. Zudem bin ich für alle 42 Wohngruppen der SSBL die zuständige Ansprechperson für sämtliche Fragen zum Thema Hygiene in der Hauswirtschaft und im Lebensmittelbereich.

MAKK: Hygiene ist ein sehr wichtiges Thema für Sie. Wie kommt das?

Ursina Schürmann: Bei einer meiner Anstellungen in einem Altersheim musste ich miterleben, wie eine Salmonellenvergiftung zu einem Todesfall geführt hat. Damals wurde mir erneut klar, was Hygiene bedeutet. Spätestens aber wenn Sie in einer Organisation gearbeitet haben und ein Noro-Virus sich verbreitet hat, wissen Sie, wie wichtig Hygiene am richtigen Ort ist. Vor allem die Händehygiene.
Das hat sich auch bei früheren Tätigkeiten im High-Risk-Bereich, wie beispielsweise auf Notfallstationen oder in Operationssälen in Spitälern, gezeigt. Als ehemalige Krankenschwester wurde ich immer mit dem Thema Hygiene konfrontiert und wie sagt man: «Aus Schaden wird man (leider auch) klug.»
Doch mit dem Thema Hygiene wird noch oft zu sorglos umgegangen. Und ich begegnete in meiner Laufbahn immer wieder Situationen, bei denen mangelnde Hygiene der Ausschlag für Infektionen oder Ansteckungen war.

MAKK: Gibt es ein Regelwerk, das Sie bei der SSBL zu Rate ziehen?

Ursina Schürmann: Als ich die Stelle hier antrat, besuchte mich schon nach kurzer Zeit der zuständige Lebensmittelinspektor und wollte das Hygienekonzept der SSBL sehen. Zuerst einmal musste ich leer schlucken. Es waren zwar einzelne Hinweise und Tipps vorhanden, doch es gab noch kein durchgängiges Konzept. Der Lebensmittelinspektor gab mir darauf ein Jahr Zeit, um eines zu erstellen. Da Hygiene ein bereichsübergreifendes Thema ist, habe ich mich mit den zuständigen Personen der Pflege zusammengesetzt und wir erstellten ein Hygienekonzept sowohl für die Hauswirtschaft, wie auch für den Pflegebereich und zwar in einem Aufwasch.

MAKK: In der Wäscherei sind auch Leute beschäftigt, die eine Einschränkung haben und IV-Rente beziehen. Stellt das Ihre Arbeit vor eine besondere Herausforderung?

Ursina Schürmann: Änderungen können nur subtil eingeführt werden und es darf nicht zu viel auf einmal sein. Man muss das wirklich Häppchenweise machen. Bereits Wäschewagen, die an einem neuen Ort stehen, können zur Herausforderung werden und Nervosität oder manchmal auch Ärger hervorrufen. Dafür kann man diesen Mitarbeitenden einmal die Hygienevorschriften erklären und sie sitzt und wird vorbildlich eingehalten und befolgt. Da benötigen andere mehrere Anläufe.

MAKK: Die Hygiene hat bewirkt, dass wir heute so alt werden, wie noch nie. Sehen Sie auch negative Seiten dieser Entwicklung?

Ursina Schürmann: Die ganzen Resistenzen werden zunehmend zum Problem. Erst gerade habe ich gelesen, dass in einem Land das Abwasser in der Medizinproduktion ungefiltert abführt wird und nun einen chemischen «Superkeim» hat, der im Wasser ist. Und schon haben wir einen neuen Superkeim, gegen den nichts mehr nützt. Das ist schon verrückt.
Als ich vor rund 30 Jahren anfing im Krankenhaus zu arbeiten, desinfizierte man alles: Bettgestelle, Türen, einfach alles. Bis man dann merkte, dass dies nicht wirklich sinnvoll war. Viel besser ist es, gezielt zu desinfizieren. Zum Beispiel im High-Risk-Bereich oder Isolations-Stationen sowie Sterilisation. Nur dort, wo es nötig ist.
Flächendeckende einmal pro Woche wiederkehrende Türgriffdesinfizierungen bringen zum Beispiel nichts. Denn nach zwei Stunden haben Sie wieder denselben Keimbefall auf dem Griff. Aber eine gute Händehygiene hilft!

MAKK: Händehygiene ist auch für Privatpersonen wichtig. Welche Hygiene-Massnahmen beachten Sie im Umgang mit anderen Personen besonders?

Ursina Schürmann: Wenn jemand in der Öffentlichkeit hustet, achte ich darauf, dass ich mich abwende und die Bakterien an mir «vorbeiziehen» können. Wenn man weiss, wie weit solche Bakterien fliegen – fast durch den halben Zugwagen – ist man sich dessen bewusster. Auch bei Krankheitswellen, achte ich darauf, dass ich grossen Menschenmassen aus dem Weg gehe. Und eine gesunde Lebensweise hilft sicherlich auch.

MAKK: Gibt es auch Massnahmen, die Sie zum Beispiel nach dem Besuch eines Restaurants, eines öffentlichen Verkehrsmittels oder eines Theaterbesuchs beachten?

Ursina Schürmann: Vor allem bei öffentlichen Toiletten vollführe ich manchmal akrobatische Einlagen. Denn ich habe selbst mal bei einem Fremdreinigungsinstitut gearbeitet. Und dort habe ich gesehen, wie mit einem Lappen und einem Mob sechs WC-Anlagen gereinigt werden. Auf dem Weg nach Draussen, wird dann auch noch zum krönenden Abschluss der Türgriff und der Lichtschalter mit demselben Lappen abgewischt. Daher desinfiziere ich mir nach Kontakt mit solchen Dingen die Hände. Wenn ich mal das Desinfektionsmittel zu Hause vergessen habe, überlege ich, wo die Tür noch nicht berührt wurde und versuche dann, mit Ellenbogen und Fuss die Türe einen Spalt zu öffnen und dann einen Griff an den oberen Rand, um herauszukommen.

MAKK: Was ist die grösste hygienische Bedrohung für eine Institution wie die SSBL?

Ursina Schürmann: Epidemien und Pandemien sind sicherlich immer ein grosses Risiko. Auch ein Norovirus oder eine Salmonellenvergiftung können zu einem grossen Problem werden. Denn das Immunsystem unsere Bewohnerinnen und Bewohner ist teilweise geschwächt und die Ansteckungsgefahr dadurch entsprechend hoch. Da unsere Bewohnerinnen und Bewohner in Wohngemeinschaften organisiert sind, kann das dazu führen, dass ein Virus sehr schnell grassiert und eine ganze Wohngruppe oder Wohnhaus betroffen sind.

MAKK: Wie sorgen Sie dafür, dass solche Bedrohungen nicht eintreten?

Ursina Schürmann: Vor einem Jahr haben wir fast flächendeckend Berufskleidung eingeführt. Also klare Trennung von Privat- und Arbeitskleidung. Das hilft mit, dass sich Keime weniger verbreiten können. Zudem arbeiten wir mit einem Farbkonzept in der Reinigung und in der Küche – aber diese Themen sind schon lange bekannt und werden auch vielerorts so umgesetzt.
Ich selber bilde mich zu diesem Thema laufend weiter und wir führen zusammen mit der Fachstelle Pflege Schulungen und Audits durch. Damit möchte ich die Leute nicht verunsichern oder ängstigen sondern ihnen Sicherheit anhand von Wissen vermitteln.
In der Hauswirtschaft haben wir bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende ein Ritual eingebaut: Vor Arbeitsbeginn werden die Hände gewaschen und mit einer Schutz-Créme eingecremet. Während der Arbeitszeit werden die Hände bei Arbeits-/Ort-/Tätigkeitswechsel desinfiziert und nur bei sichtbarer Verschmutzung gewaschen. Zudem stellen wir auch Pflege-Crémen zur Verfügung, damit die Hände in der Pausenzeit und bei Arbeitsende wieder „Nahrung“ erhalten.

MAKK: Wieso ist Händehygiene nach wie vor ein grosses Thema in diesem Bereich?

Ursina Schürmann: Weil vor allem über die Hände die Bakterien und Viren verteilt werden. Vielen ist das einfach nicht bewusst. Vor kurzem hatten wir einen Herrn in der Wäscherei, der eine Hose suchte. Mit den nackten Händen wühlte er im Wäschewagen durch die dreckige Wäsche. Als ich ihn darauf hinwies, dass es sich um dreckige Wäsche handelt und er vielleicht in kotverschmierter Wäsche herumwühlte, wurde ihm sofort klar, dass er danach die Hände waschen und desinfizieren muss. Wir tragen beim Sortieren immer Einwegschürzen und Einweghandschuhe. Und bei Verdacht auf Bsp. Noro zusätzlich Schutzbrillen und Mundschutz.
Bei meinen Mitarbeitenden mache ich Schulungen. Auch schon mal einen Abklatschtest um ihnen zu zeigen, was an den Handschuhen, den Maschinen, dem Sortiertisch und den Wäschewagen zurückbleibt. Danach greift sich niemand mehr während der Arbeit mit den Handschuhen ins Gesicht. Für die Schulung Händehygiene verwenden wir eine Art Blackbox. Damit machen wir den Mitarbeitenden bewusst, dass Ringe und anderer Hand- und Armschmuck ausgezogen werden müssen. Und es ist erfreulich, wie vielen es auf einmal bewusst wird, wenn sie das sehen. Doch Hygiene ist und bleibt ein ständiges Thema und muss laufend wieder in Erinnerung gerufen werden, weil die Keime immer resistenter und unser Immunsystem tendenziell immer schwächer wird.

Ursina Schürrmann

Frau Schürmann ist Leiterin Hauswirtschaft der SSBL. Damit ist Sie für die Hygiene an 14 Standorten mitverantwortlich. In ihrer Laufbahn war die Hygiene immer ein wichtiges Thema und bleibt es auch weiterhin. Der gesunde Menschenverstand in Kombination mit guter Händehygiene sind für sie die Basis.

Ihre Freizeit verbringt die ehemalige Krankenschwester gerne im Garten oder geniesst einfach die Abendstimmung auf ihrer Terrasse, bei einem guten Glas Wein.

Wenn Sie Fragen zur Hygiene an Ursina Schürmann haben, dann schreiben Sie eine eMail an: ursina.schuermann@ssbl.ch.

 

SSBL

Die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) begleitet und betreut Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung. Neben dem Haupthaus in Rathausen, gehören 10 weitere Standorte im Kanton Luzern zur Stiftung. Mehr als 400 Frauen, Männer und Kinder werden in Wohn- und Tagesgruppen betreut. Dafür setzen sich täglich rund 890 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Neben musischen und kreativen Ateliers können die Bewohnerinnen und Bewohner auch einer handwerklichen oder körperlichen Arbeit nachgehen. So auch in der Wäscherei in Rathausen. Weitere Infos unter: www.ssbl.ch.